Sein Wirken
Zum 150. Todestag
des DOG-Gründers
Albrecht von Graefe
Albrecht von Graefe
Wissenschaft
Albrecht von Graefe promovierte 1847 an der Universität Berlin mit dem Thema „Über Brom und vornehmlich seine Zubereitungsformen“. Seine erste Publikation „Ueber Das Tannin als Choleramittel“ erschien 1848 als „Flugschrift“ (Abb. 1). Graefe habilitierte sich 1852 an der Universität Berlin mit einer strabologischen Arbeit („De musculorum ocularium paralyseos symptomatis“). Die Arbeit erschien mit Ergänzungen 1867 als Monographie, der einzigen, die Graefe in seinem Leben herausgeben sollte (Abb. 2). Auch wenn Graefe hin und wieder Beiträge in den „Klinischen Monatsblättern“ veröffentlichte, schrieb er vor allem für sein 1854 begründetes Archiv. Insgesamt sollten es darin im Laufe seines Lebens etwa 2500 Seiten werden, darunter fast alle seiner Erstbeschreibungen. In seiner allerersten Arbeit im „Archiv“ befasste er sich mit der Wirkung der schrägen Augenmuskeln (Abb. 3). Im Jahr 1855 erfolgte die Erstbeschreibungen der Exkavation beim Glaukom, nachdem er diese ein Jahr zuvor noch als „Hügel“ interpretiert hatte (Abb. 4).
Weitere Meilensteine waren die Publikation der Iridektomie bei Glaukom (1857; Abb.5), des Zentralarterienverschlusses („Embolie“) (1859; Abb. 6) und der Papillenschwellung bei erhöhtem Hirndruck (1866), um nur einige und die vielleicht wichtigsten zu nennen. Graefe befasste sich mit fast allen Facetten der Augenheilkunde und wäre auch ohne Augenspiegel ein ganz Großer unseres Faches geworden. Nichtsdestotrotz konnten zahlreiche seiner Erstbeschreibungen nur gelingen, weil er sich sehr frühzeitig des von Hermann von Helmholtz (1821-1894) 1851 vorgestellten Ophthalmoskops bediente. Beiträge zur Refraktion, zur Entzündungslehre, zum Schielen, zur Entfernung von Würmern aus dem Glaskörper und zur Kataraktextraktion gehörten ebenso zu seinem Repertoire wie, für ihn ganz wichtig, Abhandlungen über die Ophthalmopathologie oder die Beziehungen des Auges zu Allgemeinerkrankungen. Überhaupt sah Graefe die Augenheilkunde immer als Teil der gesamten Medizin, selbst wenn er sich „Specialist für Augenkrankheiten“ nannte.
1857 wurde er außerplanmäßiger, 1866 ordentlicher Professor für Augenheilkunde an der Charité. Der Lehrstuhl war bis dahin durch Johann Christian Jüngken (1793-1875) besetzt gewesen. 1868 übernahm er gesundheitlich schon schwer angeschlagen die Leitung der Charité-Augenklinik. Vereinzelt wurde er „populärwissenschaftlich“ tätig. In seinem Vortrag „Sehen und Sehorgan“ (Abb. 7) 1867 beschrieb er die Bedeutung des Sehens für den Menschen in der Berliner Singakademie (heute Maxim-Gorki-Theater) sehr eindrucksvoll:
„So viel über das Organ, welches für die Nahrung unseres Geistes, für die Begründung unserer Weltanschauung und für die Beziehung der Menschen unter sich einen Einfluß übt, über dessen Umfang sich der im ungeschmälerten Besitze stehende kaum volle Rechenschaft zu geben vermag. Redner haben es gepriesen, Dichter haben es besungen; aber der volle Werth desselben ist versenkt in das stumme Sehnen derer, die es einst besessen und verloren haben“.
Albrecht von Graefes wissenschaftliches Streben war stets darauf ausgerichtet, dem „stummen Sehnen“ Abhilfe zu verschaffen.
Gründungen
Albrecht von Graefe hatte Augenheilkunde während seines Studiums bei dem als altmodisch geltenden Johannes Christian Jüngken (1793-1875) gehört, der 1834 auf den Lehrstuhl für Chirurgie und Augenheilkunde an der Charité berufen worden war und diesen bis 1866 innehatte. Damit war eine akademische Karriere auf dem Gebiete der Augenheilkunde in Berlin für Albrecht sehr lange verbaut, was neben der „Bürokratie“ wesentlich dazu beitrug, dass er zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis zur Charité hatte und er sich eher „außer-akademisch“ verwirklichte. In diesem Sinne ganz entscheidend war die Gründung seines „Archivs für Ophthalmologie“ 1854, das er mit folgenden, bescheidenen Worten einleitete:
„Das Bedürfnis, ein eigenes, für Augenheilkunde bestimmtes Organ in der vaterländischen Literatur zu besitzen, wird wohl schon lange von jedem Fachgenossen gefühlt, der sich mit dem tieferen Studium des genannten Feldes beschäftigt. Die Arbeiten sind nämlich beim heutigen Stande der Forschung zu detailliert, als dass sie nicht in den für medizinische Wissenschaften im Allgemeinen bestimmten Zeitschriften ihrer Anlage nach beengt werden müssten. […] Unter unseren Augen sehen wir den Nebel fliehen, der Jahrhunderte lang die besten Forscher in ihrer Einsicht umfing, und Dank der frühzeitigen Erkenntniss ist für die Therapie ein ungeahntes Feld gewonnen, von dem wir schon jetzt, nach wenigen Jahren, schöne Früchte beizubringen im Stande sind. […] Wenn nun aus den angeführten Gründen die Schöpfung eines Organs für Augenheilkunde als dringendes Bedürfniss anerkannt wird, so mag es manchem Fachgenossen wunderbar erscheinen, dass ich als ein noch jüngerer Arbeiter in diesem Felde mich zu einem solchen Unternehmen angeschickt habe. In der That aber kann ich versichern, dass mich hierzu nicht Ueberschätzung meiner eigenen Kräfte, sondern nur die Einsicht brachte, dass von einer anderen Seite der gewünschte Anfang nicht gemacht wurde“.
Das Archiv wurde von Frans Cornelis Donders (1818-1889) und Ferdinand von Arlt (1812-1887) ab 1871, nach dem Tod des Gründers, in „Graefe‘s Archiv für Ophthalmologie“ umbenannt. Es besteht, seit einigen Jahren englischsprachig, bis heute und fühlt sich seinem Begründer weiterhin verpflichtet.
Im Jahre 1856 schrieb Graefe an seinen Freund und Schüler Adolf Weber (1829-1915):
„Herzlichen Dank für Ihren liebenswürdigen Brief. Wie freue ich mich darüber, mit Ihnen und manchen Anderen meiner früheren Zuhörer in dauerndem kollegialen Connex zu bleiben! Es wäre schön, wenn ein gütiges Geschick uns vergönnte, mit denen, welche uns geistig nahestehen, auch in geregelten persönlichen Verkehr zu treten. Ich habe daran gedacht, ob es nicht zu verwirklichen wäre, dass gewisse eifrige Jünger der Ophthalmologie sich alljährlich an einem schönen Punkte, z.B. Heidelberg träfen und einige Tage des Beisammenseins, zum Teil in wissenschaftlichen Bestrebungen und Mitteilungen, zum Teil in harmloser Muse verbrächten. So etwas wäre für mich, der Erholung Bedürftigen, ein wahres Fest, und es würde sich manche schöne Blüte der Erinnerung und der Jugend anknüpfen. Die Naturforscherversammlung hat ein zu chaotisches Gepräge, um eine befriedigende Innigkeit des Verkehrs und eine befriedigende Intensität der wissenschaftlichen Anläufe zu gestalten. – Denken Sie einmal darüber nach, lieber Weber! Warum soll man in dieses Leben nicht möglichst viel Blumen einstreuen; ich hänge mich gern an gewisse Lieblingsgedanken, zu denen auch der obige gehört“.
Im Jahr darauf traf man sich zum ersten Mal in Heidelberg zum wissenschaftlichen Gedankenaustausch, aber auch zum gemeinsamen Feiern (Abb. 8).
Das Jahr 1857 wird heute als Gründungsjahr der DOG Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft angesehen. 1863 gab sich die „Ophthalmologische Gesellschaft“ Statuten in Form von 4 Paragraphen, die von Albrecht von Graefe entworfen wurden (Abb. 5). Seitdem gibt es auch Tagungsberichte, zunächst in den „Klinischen Monatsblättern für Augenheilkunde“, ab 1893 in separaten Berichten. 1875 erfolgte, mehr „inoffiziell“, die Umbenennung in die „Heidelberger Ophthalmologische Gesellschaft“. Erst 1903 erlangte die Gesellschaft Rechtsfähigkeit durch Eintrag in das Vereinsregister beim Amtsgericht Heidelberg. 1920 erfolgte – sicherlich unter dem Einfluss der Boycottmaßnahmen gegen das Deutsche Reich nach dem 1. Weltkrieg – der einstimmige Beschluss, eine Umbenennung in „Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft“, wie sie heute noch heißt, vorzunehmen.
Die DOG ist heute die älteste augenärztliche Gesellschaft auf der Erde. Sie sieht sich in der Tradition Albrecht von Graefes (Abb. 6 und 7). Alle 2 Jahre vergibt sie den erstmals 1877 verliehenen Graefe-Preis, alle 10 Jahre die erstmals 1886 verliehene Graefe Medaille, letztere laut Statuten ausdrücklich auch an verdiente Ophthalmologen aus dem Ausland.
Das Vermächtnis, das uns Albrecht von Graefe hinterlassen hat, liegt in seiner Eröffnungsrede bei der Tagung der „Ophthalmologischen Gesellschaft“ am 4. September 1868 in Heidelberg, der letzten Tagung, an welcher er teilnehmen konnte. In den folgenden Worten findet sich alles das wieder, was Albrecht von Graefe als Mensch ausgezeichnet hat: Internationalität, Friedensliebe, Kooperation, Wissenschaftlichkeit, Toleranz, Fröhlichkeit, Freundschaft und humanes Arzttum.
„Dem ehrenvollen Auftrage des Ausschusses, diese Versammlung zu eröffnen, beeile ich mich hiemit nachzukommen.
Drei Jahre sind vergangen, meine verehrten Collegen und Freunde, seitdem sich die Ophthalmologische Gesellschaft zum letzten Male in dieser Musenstadt (Anmerkung: Heidelberg) traf. Das eine Mal waren es die Wirren des Krieges (Anmerkung: Deutsch-österreichischer Krieg von 1866), welche uns abhielten; düstere Zeiten, welche die Herzen der Deutschen mit tiefer Wehmut erfüllten und in uns allen das trübe Bewusstsein wachriefen, wie sehr wir Menschen des 19. Jahrhunderts noch hinter den echten Zielpunkten kulturgeschichtlicher Entwickelung zurückstehen. Das zweite Mal war es ein Ereignis freudiger Art, welches unsere Schritte ablenkte (Anmerkung: Gemeint ist der 3. Internationale Ophthalmologen-Kongress 1867 in Paris). Im Westen, am Seinestrande, war eine herrliche Blüthe des Friedens erstanden, prangend in den Farben aller Länder, mit den Früchten aller Himmelsstriche, lockte sie uns zum Staunen und zwang uns jene Bewunderung ab, welche wir großartigen Fortschrittswerken der Civilisation schulden.Die beiden Jahre, die aussergewöhnlichen, sind verstrichen, und wie die Rückkehr in alte liebe Gewohnheiten zu den besten und naturgemässesten Freuden des Daseins gehört, so erscholl es, als dieses Jahr seinen Anlauf nahm, an manchem Ophthalmologenheerd mit doppelter Freude, nach der doppelten Unterbrechung: ‚Dieses Jahr geht’s nach Heidelberg!‘ Verschieden gewiss in unseren Lebensansichten, in unserem Thun und Treiben, verschieden auch vermuthlich in unseren wissenschaftlichen Überzeugungen – eins aber jedenfalls in dem Streben nach Wahrheit, in der Kultur des Wissens, in der Liebe zu unserem Fache sind wir auf’s Neue beisammen, beisammen, um die Fortschritte der Wissenschaft zu constatiren, um aus der reichen Quelle gemeinschaftlicher Arbeit und gemeinschaftlicher Erfahrungen zu schöpfen, um den eigenen Gesichtskreis, auf dessen Umfang die meist unbewusste, aber desto gefährlichere Schranke der Individualität drückt, zu erweitern, beisammen, um alten Freunden die Hand zu drücken, das Bild verflossener schöner Tage zu beleben, um frische Kraft, um freieren Sinn mit hinüberzuführen in die oft drückende Atmosphäre immer wiederkehrender Bedenken, Mühen, Sorgen, welche trotz allen Gelingens den treuen Dienst Aesculaps umgeben“.